Hintergrundbericht - Ausgabe vom 02.03.2025
Nicaragua zieht sich aus dem UN-Menschenrechtsrat zurück
Schon am 06. Februar trat Nicaragua aus der FAO aus, weil in deren Bericht über die Situation im Land verfälschende Informationen enthalten waren. Ende Februar folgte der Rückzug aus dem UN-Menschenrechtsrat und kurz danach aus der Arbeitsorganisation (ILO) und aus der internationalen Organisation für Migration. Die Vorgänge klingen stark danach, dass es die Regierung Nicaraguas satt hat, wiederkehrend von westlich geprägten Organisationen wegen etwas beschuldigt zu werden, ohne überhaupt Stellung nehmen zu können. Im folgenden ein Text zum Rückzug aus dem UN-Menschenrechtsrat:
Die Ko-Präsidentin Nicaraguas, Rosario Murillo, kündigt den Rückzug des Landes aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen an. Sie erklärt außerdem, dass das Land alle in der Organisation vorgebrachten Unwahrheiten, Verleumdungen und Lügen gegen seine Regierung zurückweist.
In ihrer Rede im Fernsehsender Canal 4 erklärte Murillo, dass die Regierung der nationalen Versöhnung und Einheit dem Präsidenten des UN-Menschenrechtsrats, Jürg Lauber, ein Schreiben übermittelt hat, in dem Nicaragua seine souveräne und unwiderrufliche Entscheidung zum Rückzug aus diesem Gremium mitteilt.
In dem Schreiben erklärt Nicaraguas Außenministers Valdrack Jaentschke, der Menschenrechtsrat habe erneut gegen seine am 15. März 2006 mit der Resolution 62/51 verabschiedeten Regeln verstoßen. Nach der Einschätzung Nicaraguas wurden in diesem Dokument die Grundsätze der Objektivität, Unparteilichkeit und Nicht-Selektivität bei der Prüfung von Menschenrechtsfragen sowie die Verpflichtung zur Beseitigung von Doppelmoral und Politisierung festgelegt. Nicaragua sehe sich nicht als Teil und Komplize von Übergriffen gegen die Souveränität, die Gleichheit der Staaten und die Würde der Völker, schrieb Jaentschke.
Weiter betont der Außenminister: „Die selbsternannte Expertengruppe, das Büro des Hohen Kommissars und der Menschenrechtsrat sind zum Sprachrohr derer geworden, die gegen Frieden und Ruhe verstoßen haben, und sind die Urheber der zahlreichen Morde, Entführungen, Vergewaltigungen, Abscheulichkeiten und Schandtaten gegen das nicaraguanische Volk.“
In dem am Mittwoch in Genf veröffentlichten Jahresbericht, der auf 1.500 Interviews und der Prüfung von 7.500 Dokumenten beruhe, erklärt die 2022 eingesetzte Gruppe von Menschenrechtsexperten (GRHEN), dass „das Regime von Ortega und Murillo das Land mit der Verfassungsreform, die am 18. Februar in Kraft trat, bewusst in einen autoritären Staat verwandelt hat.
„Es gibt keine unabhängigen Institutionen mehr, abweichende Stimmen werden zum Schweigen gebracht und die Bevölkerung – sowohl innerhalb als auch außerhalb Nicaraguas – ist Verfolgung, erzwungenem Exil und wirtschaftlichen Repressalien ausgesetzt“, heißt es in dem Bericht.
Weiter heißt es in dem am letzten Mittwoch von UN-Experten vorgelegte Bericht, dass die Regierung auch ein ausgedehntes Geheimdienstnetz betreibe, „das die gesamte Bevölkerung überwacht“. Diese Überwachung erstrecke sich auch auf Presse und Kirche und werde durch die Anwesenheit von Offizieren und Militärs spürbar, die die Menschen unterdrücken und abweichende Organisationen zensieren.
Nicaragua sei ein Ort der Überwachung und des aufgezwungenen Schweigens für diejenigen geworden, die bleiben. „Diejenigen, die es wagen, Widerstand zu leisten oder einfach als Dissidenten wahrgenommen werden, müssen ein Leben als Staatenlose und im Exil führen“, sagte Reed Brody, Mitglied der Expertengruppe. Seine Kollegin Ariela Peralta fügte hinzu: „Dies ist eine Regierung im Krieg gegen ihr eigenes Volk“.
Der im wesentlichen geopolitisch geprägte Konflikt in und um Nicaragua zieht sich schon seit vielen Jahren hin und eskalierte während des je nach Sichtweise Putsch- oder Aufstandsversuchs im Frühjahr 2018. Die Gewalt dauerte drei Monate und forderte je nach Darstellung 250 bis 450 Tote, darunter Regierungsgegner, Regierungsmitarbeiter und -sympathisanten sowie 22 Polizisten. Das Thema der Menschenrechte spielte in der öffentlichen Wahrnehmung des Konflikts immer eine wichtige Rolle. Schon im September 2018 musste die UN-Menschenrechtskommission Nicaragua verlassen, weil sie in einem Bericht die Regierung für Tote verantwortlich gemacht hatte, für deren Todesursache es noch keine Untersuchung gegeben hatte.
Im Februar 2023 hatte die GRHEN ihren ersten, 300 Seiten umfassenden Bericht zur Menschenrechtssituation in Nicaragua vorgelegt. Dieser schien auf den ersten Blick ausführlich und umfassend zu sein, aber an vielen Stellen zeigte sich, dass er sich nur auf Menschenrechtsverletzungen durch Regierungsbeamte konzentrierte. Bei der Sammlung von Beweismaterial verwendete die Gruppe eine Reihe von NRO, die der nicaraguanischen Regierung äußerst kritisch gegenüberstanden.
Aufgrund dieses ersten problematischen Berichts der GRHEN reagierte eine Gruppe aus Organisationen und Einzelpersonen aus den Vereinigten Staaten und Kanada, Europa, Lateinamerika und direkt aus Nicaragua mit einer ausführlichen Kritik und detaillierten Beweisen. Ein Schreiben, in dem die Rücknahme des Berichts gefordert wird, wurde von namhaften Menschenrechtsexperten, 85 verschiedenen Organisationen und über 450 Einzelpersonen unterzeichnet. Es wurde aber nie beantwortet.
In diesem Zusammenhang kommentierte der ehemalige unabhängige UN-Experte für internationale Ordnung [2012-2018], Alfred de Zayas, dass "der Ausschluss relevanter Informationen, die der Studiengruppe [GHREN] vorgelegt wurden, ein Verstoß gegen eine verantwortungsvolle Methodik ist, ein Verstoß gegen die Ethik jeder gerichtlichen oder quasi-gerichtlichen Untersuchung."
Laut einer im Covert Action Magazine veröffentlichten Untersuchung zur Politisierung und Instrumentalisierung der Menschenrechte von Alfred de Zayas und John Perry im Konflikt um Nicaragua erhielt alleine die nicaraguanische CENIDH-Menschenrechtsorganisation im Vorfeld des Putschversuchs von 2018 die Summe von 23 Mio. US-Dollar von verschiedenen europäischen Institutionen. Die Organisationen CPDH und ANPDH wurden direkt vom National Endowment for Democracy (NED) mit Mitteln aus dem Haushalt der US-Regierung finanziert. Das CPDH erhielt darüber hinaus mehr als 7 Millionen Dollar von einem Ableger der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).
Vieles spricht dafür, dass hier ein typisches Beispiel der Arbeit einer Menschenrechtindustrie vorliegt, die mit Doppelstandards, Auslassungen und politisch tendenziösen Beurteilungen arbeitet, wie es auch von Zayas in "The Human Rights Industry: Reflections of a Veteran Human Rights Defender" beschrieben wird.
Laura Gonzáles