Nachricht von Partnern aus Nicaragua zur aktuellen Situation

Deutsche Übersetzung: Rudi Kurz, Nicaragua-Forum HD e.V.

Ausgabe vom 02.06.2018

Die USA vergeben einen Regimechange-Auftrag für Nicaragua

John Perry - Aus Masaya, Nicaragua - veröffentlicht am 04.08.2020
Quelle: https://www.coha.org/the-us-contracts-out-its-regime-change-operation-in-nicaragua/

Ein außergewöhnlich Dokument, das durchsickerte, gibt einen Einblick in den Umfang und die Komplexität des Plans der US-Regierung, mit dem sie sich in die inneren Angelegenheiten Nicaraguas bis zu und nach der Präsidentschaftswahl 2021 einmischen will.

Der Plan[1], ein 14-seitiger Auszug aus einem viel längeren Dokument, datiert von März und April dieses Jahres und legt die Bedingungen für einen von USAID zu vergebenden Auftrag fest (ein "Request for Task Order Proposal"). Er wurde von dem Reporter William Grigsby von Nicaraguas unabhängigem Radio La Primerisima[2] öffentlich gemacht und beschreibt die Aufgabe, das zu schaffen, was in dem Dokument "das Umfeld für Nicaraguas Übergang zur Demokratie" genannt wird. Das formulierte Ziel ist ein "geordneter Übergang" von der gegenwärtigen Regierung von Daniel Ortega zu "einer Regierung, die sich der Rechtsstaatlichkeit, den bürgerlichen Freiheiten und einer freien Zivilgesellschaft verpflichtet fühlt". Der (auszuwählende) Auftragnehmer übernimmt die Aufgabe, mit den "Unterorganisationen für Demokratie, Menschenrechte und Regierungsführung (DRG)" in Nicaragua zusammenzuarbeiten, bei denen es sich in Wirklichkeit um eine Anhäufung von NGOs, Think Tanks, Medienorganisationen und so genannten Menschenrechtsgremien handelt. Diese sind von der Finanzierung durch die USA abhängig und erheben zwar den Anspruch, unabhängig zu sein, sind aber in der Praxis ein integraler Bestandteil der Opposition gegen die Regierung Ortega.

Um eine solch eklatante Einmischung zu rechtfertigen, bedarf es einer beträchtlichen Neuschreibung der Geschichte. So wird in dem Dokument beispielsweise behauptet, dass die regierende sandinistische Partei die "aufeinanderfolgenden" vergangenen Wahlen manipuliert habe, um "ohne eine Mehrheit der Stimmen" zu gewinnen. Nachdem sie (die FSLN) dann "die Präsidentschaftswahlen 2016 manipuliert" hatte, sei sie von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gewarnt worden, dass es verschiedene "Hindernisse für freie und faire Wahlen" gegeben habe, woraufhin die OAS "technische Wahlreformen" forderte. Was das Dokument jedoch auslässt, ist die allgemeine Schlussfolgerung der OAS zu den letzten Wahlen. Obwohl dabei die "für alle Wahlprozesse typische Schwächen" festgestellt wurden, erklärte die OAS ausdrücklich, dass diese "den durch die Abstimmung zum Ausdruck gebrachten Volkswillen nicht wesentlich beeinträchtigt" hätten. Mit anderen Worten, die Art des Sieges von Daniel Ortega (er gewann 72% der Stimmen des Volkes) machte kleinere Unregelmässigkeiten für das Ergebnis unerheblich: er gewann mit einem enormen Vorsprung. Das durchgesickerte Dokument macht deutlich, dass die USA besorgt sind, dass dasselbe noch einmal passieren könnte, und dass sie das zu verhindern versuchen.

Es überrascht nicht, dass in dem Dokument auch die jüngste Geschichte neu geschrieben wird. So heißt es: Der "Aufstand" im Jahr 2018 (der von den USA tatkräftig unterstützt wurde) wurde auf Grund "der brutalen Unterdrückung" von Demonstrationen durch die Regierung so stark, wobei die Welle der Gewalt und Zerstörung, die die Opposition selbst entfesselt hat, ignoriert wird. Unter den dadbei verursachten wirtschaftlichen Schäden leidet das Land immer noch, auch wenn es (vor der Pandemie) starke Anzeichen einer Erholung gab. USAID muss jedoch das Bild eines Landes in der Krise zeichnen, "...das sich zu einem wirtschaftlichen Debakel ausweiten wird, aus dem sich eine humanitäre Notlage entwickeln könnte, je nachdem, wie sich die Ansteckung mit dem COVID-19 auf das schwache Gesundheitssystem Nicaraguas auswirkt". Jemand, der das Dokument beiläufig liest und sich der tatsächlichen Situation nicht bewusst ist, könnte den Eindruck gewinnen, dass in Nicaraguas "Krisenumfeld" ein Regimewechsel nicht nur wünschenswert, sondern dringend erforderlich ist. Die Realität - dass Nicaragua in Frieden lebt, die COVID-19-Pandemie bisher einigermaßen gut bewältigt hat und nicht unter den schweren wirtschaftlichen Problemen seiner Nachbarn El Salvador und Honduras gelitten hat - ist natürlich unvereinbar mit dem Bild, das die US-Regierung zu vermitteln versucht, um ihrem Eingreifen einen gewissen Anschein der Rechtfertigung zu geben.

Eine lange Geschichte der US-Interventionen

Angesichts der langen Geschichte der Einmischungen der USA in Nicaragua, die mindestens bis zu William Walkers Angriff auf dessen Hauptstadt und die Übernahme der Präsidentschaft 1856 zurückreicht, ist die Existenz eines solchen Plans kaum überraschend. Ungewöhnlich ist, dass jemand diesen Plan der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat und wir den Plan nun im Detail betrachten können. Natürlich haben die USA seit langem ein Instrumentarium für die Methoden des Regimewechsels entwickelt, ohne direkt militärisch eingreifen zu müssen, wie etwa als sie in den 1920er und 1930er Jahren die Marines entsandten oder in den 1980er Jahren die "Contra"-Kräfte illegal finanzierten und logistisch unterstützten. Heute verfügt die USA über ausgefeiltere Methoden, bei denen sie örtliche Bevollmächtigte einsetzt, die für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie von den internationalen Medien bloßgestellt werden in Abrede gestellt werden können. (Dabei zeigt die Öffentlichkeit normalerweise wenig Interesse an solchen Ländern, da sie viel mehr an den Wahlbeeinflussungen durch Russland interessiert ist als an der Störung der demokratischen Prozesse durch Washington.)

Die jüngste Eskalation der Intervention begann während der Präsidentschaft Obamas und setzte sich auch unter Trump fort. Die Motivation hat jedoch wahrscheinlich eher mit den anhaltenden Bedenken der US-Regierung über den Erfolg des Entwicklungsmodells der Regierung Ortega zu tun, seit diese 2007 an die Macht zurückkehrte und ein Jahrzehnt neuer sozialer Investitionen begann. Oxfam fasste das Problem in dem einprägsamen Titel zusammen, den es einem Bericht aus den 1980er Jahren über Nicaragua gab: Die Bedrohung durch ein gutes Beispiel. Zwischen 2005 und 2016 wurde die Armut nach Angaben der Weltbank um fast die Hälfte reduziert, von 48 Prozent auf 25 Prozent. Nicaragua hatte eine niedrige Kriminalitätsrate, begrenzte drogenbezogene Gewalt und eine gemeindebasierte Polizeiarbeit. In den elf Jahren bis 2017 stieg das Pro-Kopf-BIP Nicaraguas um 38 Prozent - mehr als bei jedem seiner Nachbarländer. Der Erfolg des Landes stand in scharfem Kontrast zu den Erfahrungen der drei Länder des "Nördlichen Dreiecks", die eng mit den USA verbündet sind. Während Nicaragua zu einem der sichersten Länder Lateinamerikas wurde, erlebten die Nachbarländer Guatemala, El Salvador und insbesondere Honduras einen Anstieg der Kriminalität, eine grassierende Korruption und ein rasches Wachstum des Drogenhandels, die den sozialen Fortschritt verhinderten und zu den " Migrantenkarawanen " führten, die seit 2017 nach Norden in Richtung USA zogen.

Die Bemühungen der US-Regierung in den Jahren 2016 und 2017, die auf langjährigen Erfahrungen mit der Manipulation der nicaraguanischen Politik beruhen, schienen im April 2018 zu Ergebnissen zu führen. Der erste Auslöser für die Aktion der von den USA finanzierten Gruppen war ein außer Kontrolle geratener Waldbrand in einem abgelegenen, auf der Straße unzugänglichen Reservat.[3] Die Taktik war klar: Man nehme einen Vorfall mit dem Potenzial, junge Menschen auf die Straße zu bringen, beschuldige die Regierung der Untätigkeit (auch wenn das Feuer kaum unter Kontrolle zu bringen war), heize die Wut der Menschen über die sozialen Medien an, organisiere Proteste, schreibe kritische Geschichten in der lokalen Presse, werbe die Unterstützung benachbarter Verbündeter (in diesem Fall Costa Rica) an und sorge für feindselige Berichterstattung in den internationalen Medien. All diese Taktiken funktionierten, aber bevor die nächste Phase erreicht werden konnte (die Demonstranten wurden vom Ortega-"Regime" unterdrückt), wurde der Waldbrand durch einen Regenschauer gelöscht.

Eine Woche später wurde den Oppositionskräften unerwartet eine zweite Gelegenheit gegeben.  Die Regierung kündigte ein Paket bescheidener Reformen der sozialen Sicherheit an und sah sich schnell mit neuen Protesten auf den Straßen konfrontiert. Die gleiche Taktik wurde angewandt, diesmal jedoch mit viel größerem Erfolg. Die Gewalt der Demonstranten am 19. April (ein Polizeibeamter, ein Anhänger der Sandinisten und ein Passant wurden erschossen) führte zu unvermeidlichen Versuchen der Polizei, die Proteste unter Kontrolle zu bringen, was zu einer raschen Eskalation führte. In den Medien verbreiteten sich Meldungen über die Ermordung von Studenten, viele von ihnen waren falsch. Nur wenige Tage später annullierte die Regierung die Sozialversicherungsreformen, aber inzwischen waren die Proteste (wie geplant) dazu übergegangen, den Rücktritt der Regierung zu fordern. Die vollständige Geschichte der Ereignisse von April bis Juli 2018 und wie sich die Regierung schließlich durchsetzen konnte, wird berichtet in "Live aus Nicaragua: Aufstand oder Staatsstreich?"

Die Grundlage für einen Aufstand legen

Wie wurden die Voraussetzungen für einen Staatsstreich geschaffen? Die Ziele der US-Regierungsfinanzierung in Nicaragua und die Taktiken, für die sie in dieser Zeit bezahlten, wurden im Online-Magazin Global Americans im Jahr 2018, das teilweise vom National Endowment for Democracy (NED)(4) finanziert wird, überraschend deutlich. Der Autor Ben Waddell, der sich zu dieser Zeit in Nicaragua aufhielt, argumentierte (im Mai 2018, auf dem Höhepunkt der Gewalt), dass "Nicaragua am Rande eines zivilen Aufstands steht" und wies darauf hin, dass "die Unterstützung der USA dazu beigetragen hat, die gegenwärtigen Aufstände zu befeuern".

Der Titel seines Artikels mit dem Titel "Die Grundlagen für einen Aufstand legen"[5] beschrieb die Ambitionen des NED-Finanzierungsprogramms, das im Zeitraum 2014-2017 54 Projekte in Nicaragua finanziert hatte und dies seither auch weiterhin tut, mit großer Genauigkeit. Was haben die Projekte bewirkt? Wie das kürzlich durchgesickerte Dokument fördert das NED scheinbar harmlose oder sogar scheinbar nützliche Aktivitäten wie die Stärkung der Zivilgesellschaft, die Förderung demokratischer Werte, die Suche nach "einer neuen Generation demokratischer Jugend-Führer" und die Bestimmung von "Möglichkeiten der Interessensvertretung". Um den Jargon zu verstehen und die Rolle des NED zu klären, zitiert Waddell die New York Times (unter Bezugnahme auf die Aufstände in Ägypten, wo das NED ebenfalls aktiv war). Er schrieb u.a.:[6]

"... die Kampagnen der Vereinigten Staaten zum Aufbau der Demokratie spielten eine größere Rolle bei der Schürung von Protesten als bisher bekannt war, da die wichtigsten Führer der Bewegungen von den US-Vertretern in Kampagnenführung, Organisation mit Hilfe neuer Medien und Wahlbeobachtung geschult worden waren.

Im Falle Nicaraguas begann die Finanzierung von Gruppen, die sich gegen die sandinistische Regierung wandten, durch das NED 1984, wobei das Ziel dieser Gruppen, "die Demokratie zu fördern", einfach erfunden wurde, da dies das Jahr war, in dem Nicaraguas Revolutionsregierung die allerersten demokratischen Wahlen des Landes durchführte. Waddell machte deutlich, dass die Bemühungen des NED auch Jahre später fortgesetzt wurden:

"... es ist jetzt ganz offensichtlich, dass die US-Regierung aktiv dazu beigetragen hat, in der nicaraguanischen Gesellschaft den politischen Raum und die Kapazitäten für den sozialen Aufstand aufzubauen, der sich gegenwärtig vollzieht.

Das NED ist nicht die einzige öffentliche Quelle der US-Finanzierung. Eine andere ist USAID, die ihre Rolle im Aufstand 2018 ähnlich wie der NED beschreibt. Nicht lange, bevor er das neue Dokument enthüllte, konnte William Grigsby auch Listen von Gruppen und Projekten in Nicaragua zu veröffentlichen, die von USAID und dem National Democratic Institute (NDI) finanziert wurden[7]. Er zeigte, dass über 30 Millionen Dollar an ein breites Spektrum von Gruppen verteilt wurden, die gegen die Regierung waren und in die gewaltsamen Aktionen von 2018 verwickelt waren, und dass im Falle des NDI zumindest diese Finanzierung bis ins Jahr 2020 anhielt.

Im vergangenen Jahr berichtete Yorlis Gabriela Luna für COHA über ihre eigenen Beobachtungen, wie von den USA finanzierte Gruppen vor allem junge Menschen ausbildeten und ihre politischen Überzeugungen in der Zeit bis 2018 beeinflussten,[8] und erläuterte, wie soziale Netzwerke und Medien in der Lage seien, "einen bedeutenden Teil der Jugend und der allgemeinen Bevölkerung Nicaraguas zu täuschen". Sie erläuterte, wie die Gruppen Stipendien zum Erlernen der englischen Sprache, für Diplomstudiengänge, Graduiertenstudien und Kurse mit verlockenden Namen wie "demokratische Werte, Aktivitäten in sozialen Medien, Menschenrechte und Verantwortung" an privaten Universitäten nutzten, "um junge Menschen anzusprechen und zu locken". Sie erläuterte weiter, wie aufregende Veranstaltungen in teuren Hotels oder sogar mit Auslandsreisen organisiert wurden, so dass junge Menschen, die nie zuvor auf diese Weise privilegiert waren, ein Gefühl von "Stolz", Zugehörigkeit und "Gruppenidentität" entwickelten und als Folge davon "schließlich mit den ausländischen Interessen" derer, die die Kurse und Aktivitäten finanzierten, übereinstimmten.

Die neue Aufgabe während und nach der Pandemie

Was sollen zwei Jahre nach dem gescheiterten Putschversuch die Organisationen, die US-Gelder erhalten, jetzt tun? Das neue Dokument ist voller Fachterminologie und verlangt vom Auftragnehmer (zum Beispiel) "gezielte kurzfristige technische und analytische Aktivitäten während des Übergangs in Nicaragua, die schnelle Unterstützung bei der Programmplanung erfordern, bis andere Fonds, Mechanismen und Akteure mobilisiert werden können". Die Arbeit erfordert auch "längerfristige Programme, die je nach Entwicklung der Krise beschlossen werden". Man muss sich auf die Möglichkeit vorbereiten, dass "der Übergang [zu einer neuen Regierung] nicht geordnet und rechtzeitig erfolgt". Der Auftragnehmer muss "ein Raster von fachlichen Experten in Nicaragua" vorbereiten, um kurzfristige technische Hilfe leisten zu können, "unabhängig vom Ergebnis der Wahlen im Jahr 2021 und sogar für den Fall, dass die Sandinisten 'fair gewinnen' sollten". Das Dokument ist voll von Anforderungen wie "eine schnelle Reaktion" und "neue Gelegenheiten ergreifen", was die Dringlichkeit der Aufgabe unterstreicht. Mit anderen Worten, es ist ein neuer Versuch im Gange, die Regierung von Daniel Ortega zu destabilisieren, und für den Fall, dass dies nicht funktioniert, und selbst wenn die Sandinisten die nächsten Wahlen fair gewinnen sollten, wie das Dokument einräumt, werden die USA ihre Versuche eines Regimewechsels verstärken.

Wer wird dies durchführen? Das Dokument legt großen Wert auf den "Erhalt" und die "Stärkung" der Zivilgesellschaft und die Verbesserung ihrer Führung, was sich offenbar auf die zahlreichen NGOs, Think Tanks und "Menschenrechts"-Gremien bezieht, die von den USA finanziert werden. An einer Stelle taucht im Dokument die Frage auf: "Worauf sollten sich die Geberkoordination, die Opposition, die Zivilgesellschaft und die Medien konzentrieren? - Dies impliziert eindeutig, dass der Auftragnehmer eine Rolle bei der Einflussnahme nicht nur auf diese zivilgesellschaftlichen Gruppen, sondern auch auf die Medien und politischen Parteien spielen muss.

Es überrascht nicht, dass das Dokument als ein neuer Plan zur Destabilisierung des Landes interpretiert wurde. Wiston López schreibt in La Primerísima, dass der Plan darauf abzielt, "die Voraussetzungen für einen Staatsstreich in Nicaragua zu schaffen". "[9] Brian Willson, der VietNam-Veteran, der in den 1980er Jahren schwer verletzt wurde, als er versuchte, einen Güterzug mit Lieferungen an die "Contra" zu stoppen, und der in Nicaragua lebt, kommt zu dem Schluss, dass die USA nun erkennen, dass Ortega die kommenden Wahlen gewinnen wird.[10] Als Antwort darauf hätten die "USA einen dreisten, kriminellen und arroganten Plan zum Sturz der Regierung Nicaraguas lanciert".

Angenommen, es gibt einen klaren Sieg der Sandinisten im Jahr 2021, werden sich die USA dann trotzdem weigern, das Ergebnis zu akzeptieren? Nachdem das Dokument andeutet hat, dass die OAS eine ernsthafte Kritik an der letzten Wahl geübt habe - was nicht der Fall war - impliziert das Dokument, dass die OAS unter Druck gesetzt wird, beim nächsten Mal eine veränderte Haltung einzunehmen. Dazu heißt es: "Ob die OAS beschließt, den Druck auf die Wahlreform wieder aufzunehmen, wird ein wichtiger internationaler Angriffspunkt sein". Zweifellos werden die USA versuchen, auf einer OAS Wahlbeobachung zu bestehen. Wenn dies (von Nicaragua) verweigert wird, wird die Rechtmäßigkeit der Wahl in Frage gestellt werden, wenn das Ergebnis für die US-Interessen ungünstig ist. Viele stellen jedoch in Frage, ob die OAS nach dem schweren Schaden, den sie der bolivianischen Demokratie im Jahr 2019 zugefügt hat, indem sie Zweifel an dem Ergebnis aufkommen ließ, was Experten als eine faire Wahl bezeichneten, und faktisch einen Staatsstreich anzettelt, überhaupt noch für eine Beobachterrolle und im Endeffekt für einen Putsch qualifiziert ist.[11] Dieses Dokument weckt die berechtigte Besorgnis, dass die US-Regierung die OAS dazu benutzen möchten, eine andere Regierung, die ihr nicht gefällt, daran zu hindern, eine Wahl zu gewinnen, wie sie es kürzlich in Bolivien getan hat.

Bei dem geplanten Programm müssen nicht nur die Voraussetzungen geschaffen werden, um die gegenwärtige Regierung abzulösen, sondern sobald dies erreicht ist, müssen die Veränderungen auch auf den "Wiederaufbau" der Regierungsinstitutionen, einschließlich des Justizsystems, der Polizei und der Streitkräfte, ausgedehnt werden. Nach der verbreiteten Verfolgung von Regierungsbeamten, Staatsbediensteten, Gemeindebediensteten und Anhängern der Sandinisten im Jahr 2018 ist es nicht überraschend, dass dies so interpretiert wird, dass eine Säuberung aller Institutionen und des Personals mit sandinistischen Sympathien erforderlich ist. Wie Willson sagt, "muss sich die neue Regierung unverzüglich den von den Vereinigten Staaten festgelegten Politiken und Richtlinien unterwerfen, einschließlich der Verfolgung von Sandinisten, der Auflösung der Nationalpolizei, der Armee und anderer Institutionen".

USAID macht deutlich, dass es der interne Druck in Nicaragua ist, der letztlich einen Staatsstreich provozieren könnte, und fordert daher seine Agenten auf, die politische, wirtschaftliche und auch gesundheitliche Krise zu vertiefen und dabei den Kontext von COVID-19 zu berücksichtigen. Das US-Außenministerium hat kürzlich als Teil seiner globalen Reaktion auf COVID-19 zusätzliche 750.000 Dollar an nicaraguanische Nichtregierungsorganisationen vergeben, und dazu gehört auch "die Unterstützung gezielter Aktivitäten zur Kommunikation und zum Ebeingagement in der Gemeinde"[12] Wie López in der Zeitschrift Popular Resistance betont: "Seit März hat die von den USA gelenkte Opposition 95% ihrer Aktionen auf den Versuch konzentriert, Nicaraguas Prävention, Darstellung und Covid-Behandlung zu diskreditieren. Dies hatte bisher nur einen gewissen Erfolg in den internationalen Medien und geht nun nach hinten los, da Nicaragua das Land mit einer der niedrigsten Sterblichkeitsraten des Kontinents ist"[13] Die Weltkarte der Coronavirus-Fälle der Johns-Hopkins-Universität zeigt Nicaragua derzeit mit 3.672 Fällen gegenüber 17.448 in El Salvador, 42.685 in Honduras und 51.306 in Guatemala. [14] Auch wenn in den internationalen Medien regelmäßig höhere Zahlen des so genannten Bürgerobservatoriums Nicaraguas[15] zitiert werden, zeigen diese derzeit nur 9.044 "Verdachtsfälle", was immer noch weit unter den Zahlen in den Ländern des "Nördlichen Dreiecks" liegt.

Was wird die Opposition als nächstes tun?

Die COHA hat bereits die Desinformationskampagne dokumentiert, die während der Pandemie gegen Nicaragua stattfand, und wie diese in den internationalen Medien wiederholt wurde. Bisher haben sich jedoch die Warnungen vor dem Zusammenbruch des Gesundheitssystems als unbegründet erwiesen.[16] Wenn die Opposition, wie beim Indio-Maíz-Brand und bei den Protesten gegen die Sozialversicherung im Jahr 2018 geschehen, mit ihrem Versuch scheitert, die Pandemie zur Destabilisierung der Regierung Ortega zu nutzen, was wird sie dann als Nächstes tun? Ein Vorfall aus jüngster Zeit zeigt, dass die Versuche, die Ereignisse zur Auslösung einer Krise zu nutzen, weitergehen werden. Am 31. Juli brach in der Kathedrale von Managua ein Feuer aus. Die Feuerwehr reagierte schnell und löschte den Brand innerhalb von zehn Minuten, aber ein Kruzifix und die Kapelle, in der es stand, wurden schwer beschädigt. Innerhalb weniger Minuten berichtete die Oppositionszeitung La Prensa, dass es zu einem "Angriff" mit einem "Molotow-Cocktail" gekommen sei und dass die Regierung oder ihre Anhänger darin verwickelt seien[17] Dies wurde von anderen lokalen und internationalen Medien, Oppositionsparteien, dem Erzbischof von Managua und von einer der NGOs, die von USAID finanziert wurden, aufgegriffen.[18] Obwohl es keine Beweise zur Untermauerung der Medienberichte gab, verurteilte auch das Hochkommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen (UNHCR) den Vorfall und deutete offensichtlich an, dass es sich um einen Angriff auf die Menschenrechte handelte[19].

Eine polizeiliche Untersuchung stellte jedoch schnell fest, dass es keinerlei Beweise für ein Verbrechen gab oder dass Benzin oder Sprengstoff im Spiel war[20] Ihre Untersuchungen ergaben stattdessen einen tragischen Unfall mit brennenden Kerzen und dem Alkoholspray, das als Desinfektionsmittel im Rahmen der Anti-COVID-19-Vorkehrungen der Kathedrale verwendet wurde. Die katholische Kirche hat bereits angekündigt, dass die beschädigte Kapelle in ihren früheren Zustand zurückversetzt werden soll. Der Schaden, der dem nationalen und internationalen Ansehen der Regierung und ihrem hochpolitisierten Verhältnis zur katholischen Kirche zugefügt wurde, wird jedoch schwieriger zu beheben sein.

John Perry ist ein in Nicaragua ansässiger Schriftsteller.