NicaNotes ist ein Blog für Menschen, die zu Nicaragua arbeiten und/oder an Nicaragua interessiert sind, veröffentlicht vom Nicaragua Network (USA), einem Projekt der Allianz für globale Gerechtigkeit. Hier werden Nachrichten und Analysen aus dem Kontext der langen Geschichte des Nicaragua-Netzwerks in Solidarität mit der Sandinistischen Revolution veröffentlicht.

Zusammengestellt von Chuck Kaufman, deutsche Übersetzung Nicaragua-Forum HD e.V.

Ausgabe vom 02.08.2018

„Wir sind fasziniert von der Tatsache, dass die Kinder essen und zur Schule gehen.“

-sagte Orlando Nuñez Soto über Kuba-

Von Katherine Hoyt

Den Satz, der mir in den letzten Wochen durch den Kopf gegangen ist, hat Orlando Núñez Soto vor einigen Jahren in Bezug auf Kuba gesagt: „Wir sind fasziniert von der Tatsache, dass die Kinder essen und zur Schule gehen.“ Er kann auch auf Nicaragua angewendet werden.

Ich musste feststellen, dass in der Frage der Gewalt in Nicaragua die Linken, seien es Nicaraguaner oder besorgte Ausländer, sich in zwei Gruppen aufteilen. Die erste Gruppe besteht aus denjenigen, für die kostenlose Bildung und Gesundheitsfürsorge, Landtitel, zuverlässige Elektrizität, Nahrungsmittel- und Transportsubventionen, der Ausbau von Trinkwasser und sanitären Einrichtungen, erneuerbare Energien, steigende Mindestlöhne, Landstraßen, geringe Kriminalität, hohes BIP-Wachstum, sinkender Gini-Koeffizient, sinkende Armutsraten, sinkende Kinder- und Müttersterblichkeitsraten usw. ausreichten, um die Augen vor bestimmten Korrekturen der Wahlergebnisse und anderen zweifelhaften politischen und staatlichen Aktivitäten verschließen zu können. Und diese Errungenschaften machen es für dieselben Leute jetzt schwer zu glauben (trotz einiger schockierender Videos), dass die Polizei von einem Tag auf den anderen gewechselt hätte, von der blau gekleideten Hand in Hand arbeitenden Gemeindepolizei zu schwarz vermummten Schlägertypen. Ich zähle mich selbst zu dieser Gruppe.

In der zweiten Gruppe sind diejenigen, die feststellen, dass ihnen materielle Verbesserungen nicht ausreichen oder sie sich nicht besonders dafür interessieren. Sie wollen ein offenes politisches System mit demokratisch geführten politischen Parteien, Befristungen von Amtszeiten, ein Ende der geschlossenen Entscheidungsfindungen, von Klientelismus und Vetternwirtschaft und vieles mehr, einschließlich der Entlassung von Männern, die Frauen und Mädchen missbraucht haben. Einige von diesen wurden von Nichtregierungsorganisationen, die von den Vereinigten Staaten und europäischen Ländern finanziert wurden, in liberal-demokratischen Praktiken ausgebildet. Sie waren entsetzt über die Reaktion der Polizei auf die Demonstranten zu Beginn dieses Aufstands, glauben, dass die Behörden für fast alle nachfolgenden Todesfälle verantwortlich sind und glauben nun, dass dies den wahren Charakter der FSLN-Regierung enthüllen würde.

Schauen wir uns aber die politischen Aufstände der letzten Jahre an, insbesondere die des sogenannten „Arabischen Frühlings“, die den Ereignissen in Nicaragua ähnlich waren, da sie Forderungen nach liberalen und demokratischen Reformen waren. Wir sehen, dass keiner von ihnen (mit der möglichen Ausnahme von Tunesien) nach der Amtsenthebung des Staatsoberhauptes Ergebnisse erzielt hat, die das Leben der Bürger verbessert haben.

In Nicaragua sind die politischen Parteien notorisch unwirksam und nicht sichtbar an den jüngsten Ereignissen beteiligt. Die beteiligten Gruppen und Einzelpersonen haben kein gemeinsames Programm oder irgendein Programm und scheinen das politische Spektrum von rechts bis links unzusammenhängend zu überspannen. Und einige (von diesen neuen Aktivisten) haben brutale Gewalttaten verübt, die die FSLN in der Zeit bisher nie begangen hätte. (Ich weiß es; ich habe in den letzten elf Jahren der Somoza-Zeit in Nicaragua gelebt.) Ich frage mich - deutet diese Brutalität darauf hin, dass sich die organisierte Kriminalität und der Drogenhandel auf der einen oder anderen Seite engagiert hat? Oder auf beiden?

Und wie soll es jetzt weitergehen? Der Aufstand wurde niedergeschlagen, und es bleibt abzuwarten, ob die verschiedenen nationalen und internationalen Stellen, die mit der Untersuchung der über 250 Todesfälle beauftragt sind, ihre Aufgaben erfüllen werden und ob die Schuldigen vor Gericht gestellt werden. Der von der katholischen Kirche vermittelte Dialog wurde begonnen und abgesetzt, begonnen... (jetzt ist er wieder am Ende), er kann aber zu etwas Gutem führen. Die Regierung und die Organisation Amerikanischer Staaten sagen, dass sie kontinuierlich an den Wahlreformen gearbeitet haben, die Monate vor Beginn der Revolte vereinbart wurden. Diese Reformen sind auf die Präsidentschaftswahlen von 2021 ausgerichtet, während die Opposition weiterhin fordert, dass diese Wahlen auf 2019 vorverlegt werden sollen.

Der wirtschaftliche Schaden ist enorm. Die Regierung hat bekannt gegeben, dass Straßen- und andere Bauprojekte wieder aufgenommen wurden und sie die Wirtschaft wieder auf die Beine bringen werden. Die Regierung spürte jedoch die Krise durch die wirtschaftlichen Probleme in Venezuela. Nicaraguas Viehzüchter waren beispielsweise auf die großen Rindfleischkäufe Venezuelas angewiesen. Das hat sich auf fast nichts mehr reduziert. Die großen Agrarproduzenten und das Großkapital, die beide in Koalition mit der Ortega-Regierung standen und von ALBA und CAFTA profitierten, scheinen sich nun voneinander zu lösen. Die Regierung wendet sich an den mittleren und kleineren (MIPYME) Sektor, der 40% der Wirtschaft ausmacht (und ein natürlicherer Verbündeter ist).

Da Nicaragua ein so hohes Rating für die Fertigstellung von Projekten der Weltbank, der Interamerikanischen Entwicklungsbank und anderer internationaler Finanzinstitutionen hat, werden die Darlehen dieser Agenturen wahrscheinlich fortgesetzt, aber einige bilaterale Hilfen werden wahrscheinlich gekürzt. Es wäre eine moralische Travestie für den Kongress der Vereinigten Staaten, den so genannten Nica Act zu verabschieden, der die Stimme der USA in den Finanzinstitutionen nutzen würde, um zu versuchen, Kredite an Nicaragua zu stoppen oder gar dem neuen Vorschlag für Sanktionen von Senator Melendez folgen würde.

Aber auf persönlicher, familiärer und nachbarschaftlicher Ebene wurde Nicaragua durch diese Krise zerrissen. Beide Seiten haben jetzt scheinbar Listen von Menschen, die sie verletzen oder sogar töten wollen. Ob sich die nicaraguanische Gesellschaft wieder zusammenfügen kann, hängt von den Maßnahmen des Präsidenten, von den Untersuchungskommissionen und von der katholischen Kirche und anderer religiöser Institutionen ab, bei denen die Menschen moralische Orientierung suchen. Wir müssen ihnen alles Gute wünschen.


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Zusammenfassung von Meldungen aus nicaraguanischen Medien vom 02.08.2018 - Von Nan McCurdy

Studentenführer Leonel Morales, dreimal angeschossen, kann endlich seine Geschichte erzählen

Morales, gewählter Leiter der UNEN, National Union of Nicaraguan Students, war Student an der UPOLI (Baptist/Public University, wo monatelang ein Großteil der Gewalt stattfand) und auch Mitglied des Nationalen Dialogs, gewählt von den Studenten öffentlicher Universitäten. "Seit der Nacht, in der ich entführt wurde, hat Gott mir Engel auf den Weg gegeben", womit er die Ärzte meinte, die sein Leben retteten. Auf dem Nationalen Dialogtreffen hatte Morales die Studenten, die am Dialog mit der Opposition teilnahmen, angeprangert, weil sie nicht gewählt wurden und wegen der Gewalt, die ihre Gruppe ausübten.

In der Nacht des 13. Juni wurde Morales aus dem Haus seiner Freundin entführt. "Als sie mich entführten, gab es einen Lastwagen und etwa zwanzig Motorräder voller Jungs." Sie waren begeistert, dass sie Leonel aus dem Dialog hatten - "el sapo" (was "Verräter" oder "Spion" bedeutet, wie man Sandinistas nennt, um sie zu verunglimpfen). Sie haben mich lange Zeit von einer "Tranque" (Straßensperre) zur nächsten gebracht. Sie haben mich auf dem Weg geschlagen. Sie sagten, sie würden mich töten und verbrennen. Sie steckten mich hinten in den Truck und alle hatten ihre Waffen auf mich gerichtet. Dann schossen sie mir ins Gesicht und ich verlor das Bewusstsein.

Einige Zeit später warfen sie mich auf die Straße und davon wachte ich auf. Als sie sahen, dass ich wach war, begannen sie zu schießen und Gott sei Dank gab es einen Kanal und ich warf mich in einen Kanal (für Regenwasser - ziemlich tief). Ich habe mich tot gestellt und sie sind gegangen. Die Zeit verging und später konnte ich endlich ein Paar sehen und schrie nach ihnen. Dann kam jemand anderes vorbei und half mir mit den Nachbarn - sie riefen einen Krankenwagen und die Polizei." Morales lag im Koma, als er im Krankenhaus ankam. Er war über einen Monat auf der Intensivstation, mit einem Schuss in seiner Lunge, einem weiteren in seine Leber und der dritte hatte seinen Kiefer völlig zerstörte. Wegen der schweren Drohungen der Opposition wird sein Standort immer geheim gehalten. "Ich will Frieden. Ich möchte in der Lage sein, auf der Straße zu gehen, auf die Märsche für Frieden und Gerechtigkeit zu gehen. Und jetzt geht es mir gut genug, dass ich die Nachrichten morgens, mittags und um 18 Uhr sehen kann. Ich wollte zur Feier des 19. Juli auf der Plaza sein. Hier habe ich meine FSLN-Flagge gezeigt. Nur weil sie eine bestimmte politische Ideologie haben, machen sie so etwas mit einer Person. Das ist nicht richtig. Stell dir vor, wie mein Leben vorher war." "Und die verschiedenen Menschenrechtsorganisationen und die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte - glauben Sie, sie sind zu mir gekommen oder haben versucht, herauszufinden, was passiert ist? Nichts davon. Ich hoffe wirklich, dass andere Jugendliche sehen können, was wirklich passiert und nicht nur über Soziale Medien beeinflusst werden".

Um Bilder und die Geschichte auf Spanisch zu sehen: https://www.el19digital.com/articulos/ver/titulo:79565-leonel-morales-lider-de-la-unen-yo-quiero-que-haya-paz- (19 Digital, 27. Juli)

Gesundheitspersonal aus verschiedenen staatlichen Krankenhäusern wegen Putsch-Aktivitäten entlassen

Sechzehn Ärzte im Departement Esteli werden beschuldigt, Putschversuche finanziert/unterstützt zu haben. Sie haben dies dem CENIDH (Nicaraguanisches Zentrum für Menschenrechte) in Esteli mitgeteilt. Die Ärzte arbeiteten in den staatlichen Krankenhäusern in La Trinidad und Esteli. Am Samstag wurden diese Personen in Leon und Jinotepe entlassen.
(Anmerkung von Nan: Die entlassenen Ärzte unterstützten den Putsch aktiv, weit über die "humanitäre" medizinische Versorgung hinaus. Sie gaben ihre Krankenhausposten auf und arbeiteten in Ad-hoc-Gesundheitsposten der Opposition, wie sie in Estelí von Bischof Abelardo Mata eingerichtet worden waren, um jegliche Aufzeichnungen über die Verletzungen von Menschen zu vermeiden. Dadurch sollte die Opposition vor nachträglichen Kontrollen der Regierung geschützt werden. Im Falle von Leon wurden die Ärzte vom Gesundheitsminister nicht mehr in das Hauptkrankenhaus gelassen. Der schlimmste Verstoß, von dem ich in der Sache weiß, ist, dass einige der Ärzte, die in staatlichen Krankenhäusern arbeiteten, der Presse gesagt haben, dass sie Demonstranten nicht behandeln dürften, was sich als glatte Lüge erwiesen hat.) (El Nuevo Diario, 30. Juli)

Die Regierung wird Menschen helfen, deren Häuser verbrannt oder zerstört wurden

Die Regierung hat an diesem Wochenende angekündigt, dass sie 70 Familien helfen wird, die ihre Häuser durch terroristische Zerstörungen und Verbrennungen verloren haben. Sie kündigten auch an, dass im ganzen Land psychologische Hilfe für alle traumatisierten Menschen zur Verfügung gestellt werden, die diesen Service in Anspruch nehmen wollen. Vizepräsident Murillo sagte: "Die Menschen wollen Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für diejenigen, die Familienmitglieder verloren haben, und für diejenigen, die entführt, gefoltert, vergewaltigt, geschlagen und ihre Häuser und Arbeitsgrundlage verloren haben. (TV-Kanal 6, 28. Juli)

Trump verurteilt nicaraguanische Regierung

US-Präsident Donald Trump erklärte am 30. Juli: "Die Vereinigten Staaten verurteilen die anhaltende Gewalt in Nicaragua und die Menschenrechtsverletzungen, die das Ortega-Regime als Reaktion auf Proteste begangen hat." Die Trump-Regierung fordert "freie, faire und transparente Wahlen" in Nicaragua und erklärt, sie werde Visa für einige nicaraguanische Offizielle widerrufen oder einschränken und kündigte zusätzliche an, 1,5 Millionen Dollar zur Verfügung zu stellen, um "die Unterstützung für Freiheit und Demokratie in Nicaragua fortzusetzen und eine wichtige Rettungsleine für die Zivilgesellschaft, Menschenrechtsorganisationen und unabhängige Medien zu schaffen, die derzeit vom Ortega-Regime bedroht sind".

Die Erklärung des Weißen Hauses zur Verteidigung der Pressefreiheit in Nicaragua erfolgt eine Woche nachdem die CNN-Reporterin Kaitlan Collins das Weiße Haus beschuldigt hatte, dass sie von der Teilnahme an einer Veranstaltung ausgeschlossen wurde, weil sie Trump bei seinem Treffen mit dem Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, "unangemessene" Fragen gestellt habe. (Anmerkung von Nan: Die Auszahlung der 1,5 Millionen Dollar erfolgt zusätzlich zu den Millionen, die Nichtregierungsorganisationen, Medien, Menschenrechtsorganisationen etc. in Nicaragua vom National Endowment for Democracy, einer der wichtigsten US-Institutionen für die Durchführung von Staatsstreichen erhalten.) (The Hill, Washington DC, 30. Juli)


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Herausgeber der deutschsprachigen Übersetzung: Nicaragua-Forum Heidelberg. Tel.: 06221-472163, e-mail: info(at)nicaragua-forum.de | Übersetzung: Rudi Kurz | V.i.S.d.P.: Rudi Kurz
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