Meldungen aus Nicaragua vom 10.03.2008

Rio-Gipfel: Kolumbien erklärt sich bereit, Kriegsschiffe vom 82. Längengrad zurückzuziehen

Der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe erklärte sich bereit, die kolumbianischen Kriegsschiffe, die sich derzeit am 82. westlichen Längengrad befinden, zurückzuziehen. Bei dem aktuellen Streit zwischen Nicaragua und Kolumbien hat Uribes Regierung darauf bestanden, dass der 82. Längengrad die maritime Grenze zwischen den beiden Staaten ist, obwohl seitens des Internationalen Gerichtshofs ein Urteil vorliegt, das anders lautet. Am 7. März, während des XX. Gipfels der Rio-Gruppe in Santo Domingo, Dominikanische Republik, versprach Uribe, die Schiffe zurückzuziehen. (Zur Rio-Gruppe haben sich 19 latein-amerikanische und karibische Staaten 1986 als Forum für Beratung, Koordination und Konfliktregelung unter den Staaten der Region zusammengeschlossen.)

Uribes Entgegenkommen gegenüber Nicaragua kam, nachdem er und der ecuadorianische Präsident Rafael Correa es auf spektakuläre Weise fertiggebracht hatten, die schwere Krise beizulegen, die entstanden war, als die kolumbianische Armee am 1. März einen grenzüberschreitenden Angriff in Ecuador startete. Dabei war ein Anführer der Kolumbianischen Bewaffneten Kräfte (FARC) getötet worden. Diese ungewöhnlichen politischen Ereignisse überraschten alle und wurden als Zeichen politischer Reife und als großer Sieg für Lateinamerika begrüßt.

Am 6. März, einen Tag vor dem Gipfeltreffen in Rio, hatte der nicaraguanische Präsident Daniel Ortega bekannt gegeben, wegen der Weigerung des südamerikanischen Landes, das Urteil des Internationalen Gerichtshofs hinsichtlich der maritimen Grenze zu Nicaragua anzuerkennen, habe er sich entschlossen, die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien einzufrieren. Ortega sagte, seine Entscheidung beruhe auch auf Nicaraguas Solidarität mit Ecuador, dessen "Souveränität" am 1. März durch die kolumbianische Armee "verletzt" worden sei. Ortega verkündete das in Managua während einer Pressekonferenz mit seinem ecuadorianischen Kollegen Rafael Correa, der in dieser Woche mehrere lateinamerikanische Länder besuchte, um nach dem kolumbianischen Angriff politische Solidarität zu erhalten. "Lateinamerika, wir müssen zusammenstehen gegen die Willkür einer Regierung, die die gesamte Region destabilisieren könnte … Wenn wir zulassen, dass Uribe weiterhin seine kriegshetzerische und destabilisierende Politik betreibt, … könnten wir zum zweiten Nahen Osten werden," lautete Correas Warnung.

Beim Rio-Gipfel fand sich Präsident Uribe isoliert vom übrigen Lateinamerika (deren Präsidenten eine Resolution beschlossen, in der Kolumbien verurteilt wurde) und sah sich gezwungen, sich für den Vorfall zu entschuldigen, zu versprechen, dass künftig keine solchen Angriffe mehr vorgenommen werden würden, und einzuwilligen, dass er sich um eine friedliche Lösung von Kolumbiens internen Konflikten bemühen werde.

In seiner Rede auf dem Rio-Gipfel übte Daniel Ortega scharfe Kritik an Uribes Regierung. Ortega nannte den grenzüberschreitenden Angriff der kolumbianischen Armee einen Akt des "Staatsterrorismus" und warnte vor den schwerwiegenden Folgen für die gesamte Region, wenn die internationale Gemeinschaft Kolumbiens Vorgehen stillschweigend akzeptiert. Ortega verglich den kolumbianischen Angriff mit jenen Angriffen, die unter dem Namen "Plan Condor" in den 1960er und 70er Jahren durchgeführt wurden, als lateinamerikanische Regierungen unter der Herrschaft von Diktatoren nationale Guerilla-Kämpfer aus anderen Ländern der Region routinemäßig ermordeten. "Präsident Uribe spricht von einem militärischen Sieg (nach einem grenzüberschreitenden Angriff). … Von was für einer Art Sieg spricht er? Was da geschieht, ist, dass der Konflikt auf Nachbarländer übergreift."

Mehrmals während seiner Rede forderte Ortega Uribe auf, eine friedliche Lösung des internen Konflikts Kolumbiens auszuhandeln. Er betonte, dass das für die ganze Region von Bedeutung sei. "Wir müssen auf diesem Gipfel positive Vereinbarungen treffen, die die eskalierenden Spannungen in der Region abbauen.""

Ortega erklärte, er habe sich am Vortag entschlossen, die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien abzubrechen, weil er sich durch Kolumbiens Vorgehensweise "bedroht" fühle. Er betonte, wenn die kolumbianische Regierung fähig sei, einen grenzüberschreitenden Angriff in Ecuador durchzuführen, "was haben sie dann in Nicaragua vor?" Ortega forderte die Mitglieder der Rio-Gruppe auf, eine Sonderkommission zu bilden, die für harmonische Beziehungen zwischen Nicaragua und Kolumbien in der Karibik zuständig ist. "Jederzeit," so warnte er, "könnte es zu einer militärischen Konfrontation zwischen Nicaraguas winzig kleiner und Kolumbiens machtvoller Kriegsmarine kommen.

Am Ende des Gipfels, nachdem die Präsidenten Correa und Uribe Hände geschüttelt und die Krise zwischen ihren beiden Ländern für beendet erklärt hatten, bestand Präsident Ortega auf einer Antwort auf seine Aufforderung an Kolumbien, die am 82. Längengrad stationierten Kriegsschiffe zurückzuziehen. Ein zögerlicher Uribe stimmte zu, obwohl er argumentierte, die Kriegsschiffe seien dort wegen des sehr ernst zu nehmenden Drogenhandel-Problems in der dortigen Region. Auch einem weiteren Vorschlag Ortegas stimmte Uribe zu, nämlich, dass die Rio-Gruppe eine Kommission bildet, die sich für harmonische Beziehungen zwischen den zwei Staaten einsetzt, bis der Internationale Gerichtshof ein endgültiges Urteil im Streit um die maritimen Grenzen fällt. Alle oben genannten politischen Vereinbarungen wurden in die Schlusserklärung aufgenommen, die von den Präsidenten der 19 Mitgliedsländer des Rio-Gipfels unterzeichnet wurde.

Als Ergebnis der beim Gipfel erzielten Vereinbarungen gaben die Präsidenten Nicaraguas, Ecuadors und Venezuelas bekannt, dass sie beabsichtigten, die diplomatischen Beziehungen zu Kolumbien wieder aufzunehmen. Venezuelas Präsident Hugo Chavez erklärte, die Ereignisse seien ein Zeichen dafür, "dass sich in unserem Amerika Veränderungen abzeichnen." Er sagte, das Ergebnis des Gipfels stelle "einen Sieg für unser Amerika" dar und "eine Niederlage für die US-Herrschaft", die keine politische Kontrolle mehr über die Region ausübt. Dem stimmte Präsident Correa zu. Er wies darauf hin, dass es nur deshalb möglich gewesen sei, den Konflikt zu bereinigen, weil die USA nicht zur Rio-Gruppe gehören. Eine ähnliche Auffassung vertrat die Sprecherin der nicaraguanischen Regierung Rosario Murillo. Sie sagte, "das Wesentliche, was bei dem Rio-Gipfel siegte, war unser Geist der Würde und der Geist der lateinamerikanischen Einheit." (Kanal Nicaraguanischer Nachrichten, CDNN, 7 .3., 9.3.; Kanal 4, 6.3., 7.3.; Radio La Primerísima, 6.3., 7.3., 10.3.; El Nuevo Diario, 7.3., 8.3.)

ENABAS reaktiviert Verkaufszentren und reduziert Preise für Grundnahrungsmittel

Der Leiter der Nicaraguanischen Gesellschaft für Grundnahrungsmittel (ENABAS) Roger Ali Romero gab am 6. März bekannt, dass aufgrund des Regierungsprogramms "Lebensmittel für die Leute" die Preise für Grundnahrungsmittel (Bohnen, Reis und Mais) bei den 342 Verteilerstellen, die ENABAS beliefert, drastisch gesenkt wurden. In Zusammenarbeit mit dem Landwirtschaftsministerium, kleinen und mittleren Bauern, landwirtschaftlichen Kooperativen und den Bürgerräten (CPSs) verwirklicht ENABAS das Regierungsprogramm, dessen Ziel es ist, innerhalb von Nicaragua die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die Unabhängigkeit vom Ausland sicher zu stellen. Romero erklärte, in den vergangenen Monaten habe ENABAS 14 seiner Warenhäuser und Verkaufszentren, die in den 16 Jahren neoliberaler Regierung geschlossen worden waren, wieder in Benutzung genommen. Mit einer Investition von 2,8 Millionen US-Dollar will die Regierung vor Jahresende weitere 36 Warenhäuser und Verkaufszentren wiedereröffnen. Vergangenen November unterzeichnete ENABAS Vereinbarungen mit 50 000 Bauern mit kleinen und mittleren Betrieben und 72 landwirtschaftlichen Kooperativen. Darin erklärten sich die Produzenten bereit, ihre Produkte an ENABAS zu verkaufen. Die von ENABAS aufgekauften Produkte werden dann von ENABAS an die Bewohner armer Viertel und armer Gemeinden zu Preisen, die unter dem Marktwert liegen, weiterverkauft. Das geschieht in Verteilerzentren, die von den örtlichen CPSs geleitet werden.

Romero gab die folgenden Preis-Reduzierungen in den Verteilerzentren der CPCs bekannt: ein Pfund Bohnen von 0,63 US-Dollar auf 0,47 US-Dollar herabgesetzt, ein Pfund Reis von 0,34 US-Dollar auf 0,24 US-Dollar herabgesetzt, ein Pfund Mais von 0,18 US-Dollar auf 0,13 US-Dollar herabgesetzt. Die Regierung hofft, dass der Verkauf von Grundnahrungsmitteln durch ENABAS zu Preisen unter dem Marktwert dazu führt, dass die Marktpreise sinken und dass das positive Auswirkungen auf die Inflation hat.

Derzeit gibt es nur 342 Verteilerzentren, die sich an dem Programm "Lebensmittel für die Leute" beteiligen. Die derzeit aktiven Zentren sind in den Departamentos Managua, Matagalpa, Leon, Masaya, Granada und Rivas. Die Regierung plant, in den kommenden Monaten in verschiedenen Gebieten des Landes weitere Zentren zu eröffnen. (Radio La Primerísima, 5.3.; Kanal 4, 5.3., 6.3.; www.magfor.gob.ni 10.3.)

Monkey-Point-Bewohner nehmen kritisch zu Großhafen-Projekt Stellung

Am 8. März besuchten acht Botschafter (einschließlich der Vertreter von Dänemark, Brasilien, Venezuela, Mexiko, Iran und Peru), zusammen mit sieben nicaraguanischen und ausländischen Investoren, die Gemeinde Monkey Point an der karibischen Küste. Sie wollen das Gelände besichtigen, auf dem die nicaraguanische Regierung einen modernen Tiefseehafen und den Startbahnhof einer Eisenbahnstrecke bauen will, über die Frachtgüter über Land zu einem Hafen an der Pazifikküste gebracht werden.

Laut Virgilio Silva, dem Präsidenten der Nicaraguanischen Hafen-Behörde, verliert Nicaragua derzeit jedes Jahr 130 Millionen US-Dollar, weil das Land karibische Häfen der Nachbarländer benutzen muss, um seine Waren zu importieren und zu exportieren. "Wir haben viele Untersuchungen durchgeführt," sagte er, "und alle führten zum Ergebnis, dass Monkey Point die beste Wahl für den Bau eines Tiefsee-Hafens auf der Atlantikseite Nicaraguas ist."

Pearl Watson, die Präsidentin des Kreolischen Gemeinderats von Monkey Point, erklärte jedoch, sie sei zwar nicht grundsätzlich gegen das Projekt, aber der Bau dürfe erst in Angriff genommen werden, wenn die Zentralregierung die Festlegung der Gebietsgrenzen für die Ländereien, die den indigenen und ethnischen Gemeinden an der Atlantikküste gehören, und vor allem für Monkey Point, zum Abschluss gebracht hat.

Allen Clair, Vizepräsident der Gemeinde, sagte, er wolle Lourdes Aquilar, dem Direktor der Nationalen Kommission für Demarkationsfragen und Landtitel, klar machen, dass es keinerlei Verhandlungen gebe, ehe nicht für Monkey Point alle Fragen der Demarkation und der Landtitel geklärt seien. "Wenn die glauben, es sei leicht, uns aus unseren kleinen Häusern zu werfen, um Docks, Warenhäuser und Gleise zu bauen, täuschen sie sich gewaltig," sagte er.

"Wir sind nicht gegen Fortschritt," meinte Sandra Morales, "wir wissen, dass unsere inmitten von Natur gelegene Gemeinde sich endgültig ändern wird. Was wir nicht akzeptieren können, ist, dass unsere Rechte verletzt werden und dass sie uns dieses Land und diese See rauben. Beides haben wir von unseren Vorfahren geerbt, die als Sklaven hierher geflohen sind und von denen wir auch rebellisches Blut geerbt haben."

Der Leiter der Hafenbehörde Silva forderte die Bewohner von Monkey Point auf, sich nicht "von irgendjemandem manipulieren zu lassen; denn das könnte die Investoren vertreiben." Laut Unterlagen der Regierung könnte das Hafen-Projekt 350 Millionen US-Dollar kosten. La Prensa berichtete, dass die Botschafter und Investoren von der natürlichen Schönheit der Gegend beeindruckt waren. (La Prensa, 10.3.; El Nuevo Diario, 9.3.)

Dies ist eine auszugweise Übersetzung des Nicaragua News Service Autor: Hannah Given-Wilson bzw. Katherine Hoyt.
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Übersetzungen: Agnes Bennhold, Peter Schulz, Rudi Kurz.
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