Ortega versus NGOs?

Der Konfliktes und die Verantwortung der Solidarität

Inzwischen wird der Machtkampf in Nicaragua zwischen der MRS und der sandinistischen Regierung immer mehr auf die internationale Ebene getragen. Die MRS, Frauenorganisationen und einige NGOs versuchen, Entwicklungs- und Solidaritätsorganisationen in den Kampf gegen Ortega einzubinden und Druck auf die Regierungen von Geberländern auszuüben, und die Regierung Nicaraguas so unter Druck zu setzen.

Einzelne NGOs klagen über ihre Verfolgung durch die Regierung, einst führende Comandantes, die inzwischen ihre politische Heimat bei der MRS gefunden haben, beschreiben ein despotisches Regierungsverhalten, Menschenrechtsorganisationen wie CENIDH klagen wegen Angriffen, ... Und da bräuchten die NGOs natürlich internationale Unterstützung, wie sie erklären.

Was ist nun wirklich los?

Die Regierung Ortega wurde entsprechend dem nicaraguanischen Wahlrecht gewählt, benötigt wegen fehlender Mehrheit im Parlament eine Art Koalition (mit der PLC) für die Verabschiedung von Gesetzen und die Sandinisten hatten schon vor der Wahl Zusagen an verschiedene Interessensgruppen (kath. Kirche, Ex-Contra...)gemacht, um deren Unterstützung zu erhalten. Wie in Deutschland, so werden auch in Nicaragua die Richter am höchsten Gericht vom Parlament (oben genannter Koalition) gewählt.

So weit ist alles formal völlig undramatisch und entspricht den demokratischen Grundregeln. Genauso wie die CDU in Deutschland keine Richter der Linkspartei wählen würde, entscheiden die nicaraguanischen Parteien auch parteilich.

Die vielfältig positiv hervorgehobene Unterstützung Venezuelas für Länder wie Nicaragua wird - entsprechend der Vereinbarung zwischen Chavez und Ortega - nicht als Regierungsunterstützung kanalisiert, sondern über eine privatwirtschaftliche Organisation. Der Grund ist die fehlende Mehrheit der Sandinisten im Parlament und die daraus resultierende Entscheidungsfähigkeit.

Innerparteiliche Widersprüche der Sandinisten

Aber natürlich hat die FSLN große Strukturprobleme. Es gibt keinen funktionierenden parteiinternen Erneuerungsprozess. Die notwendige Teilung von Macht, das Einbinden von Personen, offene parteiinterner Diskussionen und die Anpassung von Führungsstrukturen an die verändert Situation gibt es zumindest nicht im notwendigen Umfang. Deshalb wird die Basis der Sandinisten seit Jahren schwächer und die Führung angreifbar. Daniel Ortega ist einerseits ein gewiefter Machtpolitiker, der für die Sandinisten auch ohne Regierung immer einen Einfluss im Land sicherte. Andererseits ist er aber auch eine Person, die ausgrenzt, polarisiert und die eine auf ihn ausgerichtete Machtkonzentration in der Partei wesentlich herbeigeführt hat. Als Regierungschef kooperiert Ortega, wo nötig, mit der PLC und zeigt darüber hinaus kein Interesse an parteiübergreifenden Politik-Lösungen.

Kampf um die Macht

Diese beschriebene Situation birgt natürlich viele Widersprüchlichkeiten. Und dass sich die Ortega unterstützende FSLN und ihre ausgetretenen bzw. hinausgedrängten Intellektuellen schon lange nicht mehr miteinander können, ist ja mehr als bekannt. In den meisten Fällten sind es nicht nur politische Widersprüche, sondern tiefe persönliche Verletzungen auf allen Seiten, die jede Idee von etwas Gemeinsamem zwischen FSLN und MRS (sandinistische Erneuerungsbewegung) so schwierig machen.

In ihrem Kampf ist keine Seite zimperlich. Der MRS-Fraktionsvorsitzende rief indirekt zur Ermordung Ortegas auf. Autonome Frauenorganisationen attackieren Ortega mit Finanzierung der US-Stiftung für Demokratie (NED) und fordern international die Rücknahme der Unterstützung. Die Regierung Ortega setzte im Wahlrat die Streichung des Parteienstatus der MRS und weiterer Parteien durch und geht inzwischen hart gegen NGOs vor, die die Regierung angreifen.

Bei der Auseinandersetzung geht es nur noch um die Macht, wie bei dem kitschigen "patria libre o morier" um alles oder nichts. Zwischentöne gibt es in diesem Machtkampf nicht mehr und jede Einmischung wird einer Partei zugerechnet, gleicht dem Öl ins Feuer gießen.

Solidarität heißt: Kein weiteres Öl ins Feuer gießen

Es wird vielleicht einmal eine Aufgabe für Historiker, die Verantwortlichkeiten für die Zuspitzung des Konflikts herauszuarbeiten. Einfach ist diese Frage nur für Parteigänger zu beantworten. Und ob das Aufbegehren der 5,6%-MRS gegen die ca. 35%-FSLN in dieser Form berechtigt ist, ist von außen auch nur schwer zu entscheiden. Zu hören sind die kampferfahrenen lauten Stimmen einiger NGOs und der MRS. Kaum wahrnehmbar ist bisher die Stimme der normalen Bevölkerung, deren Interessen und Vorstellungen sich aber wesentlich von denen der im Konflikt aktiven NGOs unterscheiden. Und eigentlich müssten ihre Bedürfnisse die Richtschnur für Solidarität sein.

Heute kann es verantwortungsbewussten Menschen unseres Erachtens nicht um die Unterstützung einzelner Positionen oder die einseitige Parteinahme gehen. Die aktuelle Zuspitzung auf "despotischer Präsident" versus "US-finanzierte Vaterlandsverräter" trägt die Grundlage für einen schweren und blutigen Kampf in sich. Die ersten Elemente eines solchen von Verzweiflung und Angst geprägten Kampfes waren schon zu sehen. Deshalb sollte zuerst einmal verhindert werden, dass es in Nicaragua zu extremen Kämpfen mit Toten und Verletzten kommt. Es geht vorrangig um die Entschärfung des Konflikts. Solidarität kann nur darin bestehen, von allen Konfliktparteien zu verlangen, dass sie die weitere Zuspitzung des Konflikts beenden, Schritte zurückgehen.

Ob die politisch handelnden in Nicaragua noch in der Lage sind, einen Ausweg aus eigener Kraft zu finden, ist aktuell unklar. Die Strategie, weiter Fronten aufzubauen, weitere Unterstützer einzusammeln, führt schon seit einiger Zeit in eine schlimme und ausweglose Verschärfung des Konflikts. Und klar, die beteiligten US-Strategen hoffen mit ihrer Zuspitzungsstrategie auf einen großen Kampf und Zusammenbruch.

Tatsächlich wirksamen Einfluss auf die Entwicklung in Nicaragua können wahrscheinlich aktuell nur wenige Personen und Kräfte nehmen. Wenn es gut läuft, dann sind es verantwortlich handelnde politische Vertreter aus Lateinamerika.

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